13.01.2021 | Genetik

Vom „Krieg der Gene“ zur Artenbildung

Forscher/innen am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – entdeckten bestimmte egoistische Elemente im Erbgut, die es Populationen ermöglichen könnten, sich zu unterschiedlichen Arten zu entwickeln. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.

© ÖAW/Klaus Pichler
© ÖAW/Klaus Pichler

Bereits in den 70er Jahren postulierte Richard Dawkins in seinem Buch „Das egoistische Gen“, dass Gene ihre eigene Agenda verfolgen. Hierbei beschreibt Dawkins egoistische genetische Elemente als Regionen des Erbguts, die ihre eigene Vervielfältigung anstreben, dabei aber schädlich für das Individuum sein können. Mithilfe verschiedener Mechanismen umgehen sie auch die Gesetze der Mendelschen Vererbungslehre und lassen sich so einfach in die nächste Generation schmuggeln. Obwohl das Erbgut zu einem großen Teil aus egoistischen Elementen besteht, ist immer noch erstaunlich wenig über deren Verbreitung und Funktion in der Natur bekannt.

Egoistische Gen-Pärchen

Nun zeigen Forscher/innen aus dem Labor Alejandro Burgas am IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Zusammenarbeit mit der University of California, Los Angeles, dass eine bestimmte Klasse egoistischer Elemente, sogenannte Toxin-Antidot-Paare, in der Natur häufiger vorkommen als bisher angenommen und eine Vielzahl von Mechanismen entwickelt haben, um ihre Vererbung zu erzwingen und sich in Populationen zu verbreiten - als Parasiten im Genom.

Ursprünglich beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans entdeckt, bestehen Toxin-Antidot-Elemente aus zwei miteinander gekoppelten Genen, einem sogenannten Toxin und seinem Gegenmittel, dem Antidot. Erben die Nachkommen nur das Toxin-Gen, wird die Entwicklung des Embryos gestoppt. Nur Embryonen, die auch das Antidot-Element erben, können sich gesund entwickeln. Auf diese Weise sichern die Toxin-Antidot-Paare ihr eigenes Überleben und ihre Ausbreitung in der Population. Dies geschieht auf Kosten der Fitness ihres Wirtes - ein Viertel ihrer Nachkommen, die das Antidot-Element nicht erben, fallen dem Toxin zum Opfer.

„Bislang waren nur eine Handvoll Toxin-Antidot-Paare bekannt, die zufällig in verschiedenen Labors entdeckt wurden. Wir haben uns daher gefragt, was wäre, wenn wir gezielt nach diesen egoistischen Elementen suchen würden, wären sie dann selten oder häufig?“, sagt Alejandro Burga, Gruppenleiter am IMBA. In ihrer Studie konnten die Wissenschaftler/innen fünf neue Toxin-Antidot-Paare bei der Fadenwurmart Caenorhabditis tropicalis identifizieren. Ein weiteres egoistisches Element wurde bei einer weiteren verwandten Art, Caenorhabditis briggsae, gefunden. „Das deutet darauf hin, dass diese Klasse von egoistischen Gen-Elementen häufiger vorkommt als bisher gedacht“, erklärt Burga.

Triebfeder für die Artenbildung

Überraschenderweise haben manche der neuentdeckten egoistische Elemente weitere Strategien entwickelt, um sich schneller in der Population auszubreiten. So verursachen einige Toxin-Antidot-Paare keine Störung der Embryonalentwicklung, sondern wirken erst in einem späteren Entwicklungsstadium tödlich auf Nicht-Träger des Antidots. Ein neu untersuchtes genetisches Element verzögert ohne Antidot-Gen lediglich die Geschlechtsreife. Auch dieser Trick scheint auszureichen, damit sich das egoistische Gen-Element in der Population ausbreiten kann.

Burga und seine Kolleg/innen machten eine weitere verblüffende Beobachtung. Die Forscher/innen fanden heraus, dass sich verschiedene Toxin-Antidot-Paare auf einem homologen Chromosom befinden können. „Es kommt somit nicht nur zu einem Konflikt zwischen dem egoistischen Element und dem Individuum, sondern auch zwischen egoistischen Elementen, die sich gegenseitig bekämpfen“, erklärt Burga. „Es ist ein Krieg zwischen egoistischen Genen, wobei die Individuen ins Kreuzfeuer geraten können“. Die neu gewonnenen Erkenntnisse über Toxin-Antidot-Paare sind für die Forscher/innen wesentlich, um die biologischen Prozesse der Artenbildung, allen voran die beschleunigte Ausbreitung von Genen in Populationen, den sogenannten Gene-Drive, ganzheitlich zu verstehen.

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:

„Ubiquitous selfish toxin-antidote elements in Caenorhabditis species”, Eyal Ben-David et al., Current Biology, 2021
doi.org/10.1016/j.cub.2020.12.013

 

Kontakt

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Senior Relationship Manager

Daniel Azar

Communications Officer