17.04.2008

Neue Strategien gegen die Vogelgrippe

Wiener Forscher entdecken gemeinsamen Auslöser von Lungenversagen bei Vogelgrippe, SARS-Infektionen, bakteriellen und chemischen Schädigungen.

Gefürchtete Infektionskrankheiten wie Vogelgrippe, SARS oder Anthrax führen häufig zum Tod durch akutes Lungenversagen. Forscher am IMBA, dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), können den Mechanismus der Erkrankung nun im Detail erklären und haben oxidativen Stress als gemeinsamen Auslöser identifiziert. Die oxidierten Moleküle werden vom Immunsystem erkannt und lösen eine fatale Kettenreaktion aus. Das Fachjournal Cell berichtet in seiner kommenden Ausgabe.

Die sogenannte Schocklunge (auch “akutes progessives Lungenversagen” bzw. “acute respiratory distress syndrome”, ARDS) ist eine massive Reaktion des Körpers auf verschiedene Faktoren, die die Lunge direkt oder indirekt schädigen. Dies kann durch Inhalation giftiger Gase oder durch Einatmen von Mageninhalt geschehen, aber auch im Zusammenhang mit schweren viralen oder bakteriellen Entzündungen. Im Zustand des ARDS ist das Lungengewebe stark geschädigt, die Überlebenschancen sind auch bei intensivmedizinischer Versorgung gering. Etwa 50 Prozent der Menschen, die an der Vogelgrippe vom Typ H5N1 erkranken, sterben an ARDS. Auch bei der Epidemie der spanischen Grippe im Jahr 1918, an der zwischen 30 und 50 Million Menschen starben, war ARDS die Todesursache.

Wiener Forscher leiten internationales Team
Am Wiener IMBA ist man den Mechanismen der Krankheit seit etwa fünf Jahren auf der Spur. Ein internationales Team um die japanische Medizinerin Yumiko Imai und IMBA- Direktor Josef Penninger untersucht die molekularen Vorgänge, die zu ARDS führen. Im Jahr 2005 gab es einen ersten Durchbruch, als die IMBA-Wissenschaftler ACE2 als den essenziellen Rezeptor für SARS-Virus Infektionen identifizierten und herausfanden, dass ACE2 vor ARDS schützt (Imai et al. Nature 2005; Kuba et al. Nature Medicine 2005). Auf der Basis dieser Entdeckung laufen bereits Studien zur Medikamentenentwicklung.

Nun gelang den Forschern in enger Zusammenarbeit mit Christoph Binder vom CeMM- Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW ein weiterer entscheidender Schritt zum Verständnis der Erkrankung. Unter Beteiligung führender Institutionen in Peking, Hongkong, Stockholm, Köln, Toronto und der US-Army in Fort Detrick klärten Sie einen gemeinsamen Auslöser und die Reaktionswege auf, die – unabhängig von der Ursache – zur Schocklunge führen. Das Fachjournal Cell berichtet in seiner kommenden Ausgabe am 18. April 2008.

Mit Hilfe von Mausmodellen konnten die Forscher zeigen, dass ein bestimmter Abwehrmechanismus der angeborenen Immunität eine Schlüsselrolle bei der Erkrankung spielt. Am Beginn der Signalkette steht ein Rezeptor mit dem Namen TLR4 (Toll-like Rezeptor 4). Dieses Molekül sitzt an der Oberfläche von Immunzellen der Lunge und reagiert auf Erkennungsmerkmale von Viren oder Bakterien.

Gemeinsamer Auslöser gesucht
Allerdings können nicht nur Krankheitserreger ARDS auslösen, sondern auch aggressive Chemikalien wie etwa Salzsäure, die in die Lunge gelangen. Es muss also einen gemeinsamen Auslöser geben, der sowohl bei mikrobiell als auch bei chemisch verursachten Lungenschäden eine zentrale Rolle spielt. Um diesem auf die Spur zu kommen, analysierten die Forscher zahlreiche Gewebeproben aus den Lungen verstorbener Menschen und Tiere. In Hongkong wurden SARS- und Vogelgrippe-Opfer untersucht, die US-army stellte Gewebe von Tieren zur Verfügung, die mit Anthrax bzw. Lungenpest infiziert waren.

Aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchungen können die Forscher nun folgendes allgemeingültige Bild vom Krankheitsverlauf bei ARDS zeichnen: chemische, virale oder bakterielle Reize verursachen oxidativen Stress in der Lunge. Die dadurch entstehenden Oxidationsprodukte signalisieren dem Körper eine Gefahrensituation und aktivieren den Rezeptor TLR4. Dieser mobilisiert seinerseits die natürliche Immunabwehr und setzt damit eine Art molekulare Kettenreaktion in Gang, an deren Ende die Lunge irreparabel geschädigt ist.

Zu ihrer eigenen Überraschung konnten die IMBA-Forscher nachweisen, dass sogar inaktivierte H5N1-Vogelgrippeviren, die nicht mehr vermehrungsfähig sind aber ansonsten alle Viruseigenschaften besitzen, die beschriebene Reaktion hervorrufen können. Mäuse, bei denen der Rezeptor TLR4 abgeschaltet ist, sind vor Lungenversagen durch inaktivierte Vogelgrippeviren jedoch weitgehend geschützt.

Aus dieser Erkenntnis leiten die beteiligten Wissenschaftler eine große Hoffnung ab. Da sie einen sogenannten „common injury pathway“ gefunden haben, wäre auch eine allgemein wirksame Therapie vorstellbar, die in einen zentralen Mechanismus der Erkrankung eingreift. Da eine solche Therapie unabhängig von der auslösenden Ursache wirkt, könnte sie auch als Waffe gegen neu auftretende Viren dienen.

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Die Arbeit „Identification of oxidative stress and Toll like receptor 4 signalling as a key pathway of acute lung injury“ (Imai et al.) erscheint am 18. April 2008 in Cell, Vol. 133(2). 

Kontakt

Sylvia Weinzettl

Senior Relationship Manager

Daniel Azar

Communications Officer